ARCHIV [2003]: entstaubt – entdeckt

Entstaubt – Entdeckt
Bemerkenswerte Zufallsfunde in Antiquariaten

Was Antiquariate sind, wird vielleicht am deutlichsten, wenn man sie mit Friedhöfen vergleicht: diese sind Totenacker, Orte vergeblicher Verehrung. Jene sind Orte der Auferstehung. Dort schlummern nicht nur Ausgaben, nach denen man gezielt sucht, sondern auch geistige Taten Namenloser, die vielleicht einmal, wenn ihre Stunde gekommen ist, von einem Käufer und Leser zum Leben erweckt werden. Voraussetzung ist die ungezielte, vagabundierende Neugier eines Bücherliebhabers.

Fundstücke bündeln das Interesse und können Geschichte lebendig machen. Beispiele für solche Zugänge zur Geschichte will die Vortragsreihe vorstellen.

10. Januar 2003, 20 Uhr
Kleine Philosophie des Antiquariats
Dieter Adelmann
Wer heute in einer der historisch orientierten Kulturwissenschaften arbeitet, kommt mit den Möglichkeiten wissenschaftlicher Bibliotheken nicht mehr aus. Gerade im Hinblick auf bestimmte Ausgaben von Texten, die er dauerhaft auf seinem Schreibtisch braucht, zu denen er auch ein quasi intimes Verhältnis entwickelt, muß er bestrebt sein, über Antiquariate ein eigenes Exemplar zu beschaffen. Aus solcher kontinuierlichen Bemühung ist bei Adelmann ein spezifischer Respekt vor der Leistung und Bedeutung der Antiquariate für das historische Kulturbewußtsein entstanden.
Adelmanns philosophisches Thema ist Hermann Cohen. Bei ihm findet er auch einen Ansatz für eine Philosophie des Antiquariats, nämlich in seinem Begriff des Ursprungs. Im Anschluß an Maimonides versteht Cohen „Ursprung“ als die Negation der Privation, des Verschwindens, Von diesem Gedanken aus möchte er einiges aus seiner Erfahrung mit dem Antiquariatshandel erzählen.

24. Januar 2003, 20 Uhr
„Das verdammte Ich! Es ist ein Aal den man nicht halten kann…“
August Wilhelm Ifflands Briefe an seine Schwester Louise.
Günther Weinhart
Iffland, Schauspieler, Dramatiker und Theaterdirektor, der erste Franz Mohr in Schillers „Die Räuber“, hat seiner Schwester Louise viele Briefe geschrieben, in denen oft tagebuchartig die Theaterverhältnisse seiner Zeit beleuchtet werden. Überdies wird im privaten Charakter dieser Briefe ein komplizierter und sehr moderner Künstlertyp erkennbar, plastischer und genauer als in seiner Autobiographie „Meine theatralische Laufbahn“. Die zweibändige Briefausgabe erschien nur in einer Auflage in den Jahren 1905/06.

7. Februar 2003, 20 Uhr
Ein philosophisches Vorspiel zum Jugendstil.
Emil Schreiters Schrift über „Die Versöhnung von Natur und Kultur“ (1881)
Ansgar Hillach
Im Jahre 1881 erschien in Leipzig ein Bändchen eines bis heute unbekannten Emil Schreiter mit dem Titel: „Die Versöhnung von Natur und Kultur. Vorträge über unsere Zeit und naturgemässe Philosophie.“ Schreiter war kein Fachphilosoph, sondern ein (durchaus studierter), aufmerksamer und bewunderter Zeitgenosse, der ersichtlich eine Summe seiner Einsichten in Form einer Philosophie der Zukunft und „naturgemässen Fortschrittes“ breiten Kreisen mitteilen wollte. In der sehr persönlichen Synthese seiner „Weltanschauung“ legt er unbewusst ein denkerisches Fundament dessen, was rund ein Jahrzehnt später als Jugendstil auf die europäische Bühne tritt.

14. Februar 2003, 20 Uhr
„Deutsche Selbstkritik“ am Vorabend des Dritten Reiches
Friedrich Schulze-Maiziers Schrift von 1932 über „Probleme der nationalen Selbsterkenntnis“
Manfred Voigts
„Deutsche Selbstkritik“, die 1932 erschienene Schrift des damals 44 Jahre alten, literarisch engagierten Schulze-Maizier, hatte in einem Umfeld nationalistischer und auch internationalistischer Bestrebungen reflektierende und kritische Stimmen zu Deutschland und deutschem Geist versammelt und bewertet. Eine Habilitation mit dieser Arbeit wurde dem Verfasser 1933 von der Universität Freiburg verwehrt. – Auch im Kontext heutiger Problemlagen (nationale Identität, erinnernder Umgang mit Geschichte, Europa-Idee) ist die nicht wieder aufgelegte Arbeit von großem Interesse.

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