ARCHIV

REIHE: MEDIEN ANTHROPOLOGISCH DENKEN

Medien unterschiedlichster Erscheinungsform – von der Höhlenmalerei über das Tafelbild bis zum audiovisuellen Speicher- und Generierungsgerät Computer – prägten und prägen den Menschen und das, was übergreifend als Kultur bezeichnet wird. Sie sind entscheidende Faktoren, wenn es um die Entstehungsbedingungen von Wissen geht, fordern unsere Sinne immer wieder aufs Neue heraus und sind Triebfedern wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wandels.
Die gesellschaftliche Funktion von Medien und deren kulturelle Bedeutung erschließt sich derweil aus vielen verschiedenen (Fach-)Perspektiven. Die „Medienanthropologie“ steht für einen Forschungsansatz, der Sichtweisen bündeln möchte und sich mit dem Wirkungskreis Mensch-Medium umfassend auseinandersetzt. Diesem interdisziplinären Impetus folgend wurde im letzten Jahr eine vom Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Frankfurter Goethe-Universität initiierte fächerübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Sie widmet sich vor dem Hintergrund der beteiligten Disziplinen Theologie, Soziologie, Kulturanthropologie, Philosophie, Literaturwissenschaft und Pädagogik medienanthropologischen Fragestellungen.
Diese Vortragsreihe in der DENKBAR spiegelt zum großen Teil den Diskussionsstand der Arbeitsgruppe wider und möchte anhand ausgewählter Themen auf die Frage „Warum und wozu Medienanthropologie?“ aufmerksam machen.Mit freundlicher Unterstützung vom Amt für Wissenschaft und Kunst

Ein Folder zur Reihe ist in der DENKBAR erhältlich.

Eröffnungsvortrag
Donnerstag, 10. Oktober 2002
Prof. Dr. Manfred Faßler, Frankfurt
Zwischen Jagdzeichen und Cyberspaces
Die menschheitsgeschichtlich „sehr junge“ Erfindung des Medialen – vor 3000 bis 5000 Jahren – wird gegenwärtig zum Bewegungszentrum starker Veränderungen industrieller, urbaner und institutioneller Kulturen. Mit Medien spezialisierte der Homo sapiens seine Sinne. Die Erfindung und Durchsetzung von Medien ist in einem direkten Sinne auch Selbsterfindung des Menschen als mediengebundenes Wesen. Was kann eine Medienanthropologie hinsichtlich der Erforschung dieser permanenten Selbsterfindung und deren realistisch gewordener Erklärungsmacht – zwischen Jagdzeichen und Cyberspace, Höhlenmalerei und digitalen Bildgebungsverfahren – leisten?
Prof. Dr. Manfred Faßler lehrt am Frankfurter Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie. Seine Schwerpunkte: Medienkulturen und medienanthropologische Forschungen.Donnerstag, 17. Oktober 2002
Jörg H. Klement, Frankfurt
Medienanthropologie aus philosophischer Sicht oder die Doppelung der Eigentlichkeit im Problemfeld der Sprache
Einleitend wird dem Begriff des Medialen nachgegangen und eine definitorische Bestimmung versucht. Es folgt ein Abgleich mit der dezidiert philosophischen Tradition von Anthropologie als Frage nach dem „Wesen“. Zentrale Fragen pointieren den Fokus auf Medienanthropologie aus philosophischer Sicht: Wie stellt sich das Problem der Selbstverortung im und mit dem Medium der Sprache dar? Was ist der erkenntnistheoretische Gehalt anthropologisch verstandener Medialität im Spiegel eines Doppelcharakters der Reflexion über Medien mit Medien durch Medien?
Jörg H. Klement ist Student der Philosophie und Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Donnerstag, 24. Oktober 2002
Dipl.-Theol. Christopher P. Scholtz, Frankfurt
Alltag mit künstlichen Wesen
Bereits heute leben über 100 000 Menschen mit einem Roboterhund, zu dem sie eine oft intensive emotionale Beziehung entwickeln. Weder der hohe Preis noch die eingeschränkte Aktionsfähigkeit des Roboters können die Begeisterung bremsen. Was fasziniert an der Interaktion mit einer Emotionen zeigenden Maschine? Als was wird ein solcher robotischer Lebensbegleiter im Alltag wahrgenommen? Welche Rolle übernimmt er im Umgang mit den Medien? Welche Konsequenzen hat eine ständige Begleitung durch Roboter für das Selbst- und Menschenbild? Medienanthropologische Annäherungen und Reflexionen über das zukunftsträchtige Phänomen „Unterhaltungsroboter“.
Christopher P. Scholtz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität in Frankfurt. Fachrichtung: Praktische Theologie und Religionspädagogik. Er promoviert zum Thema Unterhaltungsroboter.

Donnerstag, 31. Oktober 2002
Andreas Haderlein, Frankfurt
Interaktivität und Vernetzung: Vom Rezipienten zum ‚Senderempfänger‘ – radiophone Landschaften im Hör-Raum Internet
Ein Blick in die Geschichte des ältesten elektronischen Massenmediums zeigt es: das Radio ist ein Leitmedium. Die manipulierte Röhrenschaltung war Teil revolutionärer Alltagspraxis, die medienkünstlerischen Experimente des Neuen Hörspiels und der elektronischen Musik prägten auditive Wahrnehmung und das Freie Radio stellte einen wichtigen Bezugspunkt des gesellschaftlichen Wandels dar. Welche Entwicklungen leitet der Hör-Raum Internet ein? Anhand des „Interaktiven Hörspiels“ wird versucht, ein Bild computermedialer Interaktivität zu skizzieren und Prozesse auditiver Aneignung zu beschreiben – nicht ohne den Mythos Radio hinsichtlich der Senderempfänger-Thematik außen vor zu lassen und der Frage nachzugehen, was all dies mit Kulturanthropologie zu tun hat.
Andreas Haderlein studiert am Frankfurter Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit medienanthropologischen Fragestellungen.
Donnerstag, 7. November 2002
Ute Süßbrich, M.A., Frankfurt
Die Maschine im Bilde konzeptueller Vorstellung
Woher wissen Wissenschaftler, Autoren oder Journalisten eigentlich, welche Wirkung die Maschinenwelt auf ihre Benutzer hat? Woher nehmen so viele medienwissenschaftliche Vordenker ihre Gewissheit darüber, dass die Zergliederung von Arbeitsabläufen ‚rational’, der Umgang mit dem Internet oder mit neuen interaktiven Schnittstellen aber ‚intuitiv’ vonstatten geht? Eine Antwort darauf mag die Vorstellung sein, Maschinen prägten unsere Wahrnehmung und damit unseren Alltag, eine andere, dass sich bestimmte Vorstellungen in und mit den Maschinen erst verwirklichten. Wieder anders liegt die Antwort, die besagt, das Potential der Maschinen entstünde im Bilde konzeptueller Vorstellungen.
Ute Süßbrich ist Lehrbeauftragte am Frankfurter Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie. Sie promoviert mit dem Thema „Vision Forschung – wie Medienlaboratorien die Zukunft erfinden“.

Donnerstag, 14. November 2002
Dipl.-Päd. Claudius Terkowsky, Frankfurt
E-Learning: Menschwerdung durch Interaktion mit elektronischen Umgebungen
Mit der sozialen Durchsetzung von Computertechnologien hat unzweifelhaft eine Veränderung der kommunikativen und interaktiven Strukturen begonnen. Dabei werden Organisationsstrukturen, Lehrformen, Wissensstile und Lernkulturen ebenso beeinflusst wie menschliches Selbstverständnis und Zukunftsvorstellungen. Dass dem Einsatz von moderner Informations- und Kommunikationstechnologie als einer weiteren – jetzt computer- und netzmedialen – Infrastruktur zur Anregung von Bildungs- und Lernprozessen eine immer größere Rolle zugedacht wird, ist wohl mittlerweile unstrittig. Die Bereitschaft und die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen in Rückkopplung mit IT- und Medienkompetenz als Interaktionskompetenz scheinen somit zu zentralen Schlüsselqualifikationen zu werden.
Claudius Terkowsky ist zur Zeit wissenschaftlicher Angestellter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität und promoviert im Fach Kulturanthropologie bei Prof. Dr. Manfred Faßler im Schwerpunkt Medienkulturen/Medienevolution zum Thema „E-Learning“.

Donnerstag, 21. November 2002
Claus-Peter Leonhardt, Hanau
„The Medium Is The Massage”
In den Kultur- und Geisteswissenschaften vollzieht sich ein Bruch, der paradigmatisch ist, und an ihren Grundfesten neue Fundamente einzieht. Die Fragestellungen, die zu diesem Bruch führen, begleiteten die Wissenschaften von ihren Wurzeln her; Plato formulierte eine Kritik über die Wirkung der Schrift auf das Gedächtnis. Erst sehr jungen Datums sind Studien, die zeigen, wie aus dem laut lesenden mittelalterlichen Menschen (ruminare) durch den Medienwandel der Gutenbergrevolution ein innengeleiteter leiser Leser (Rezeption) wurde. Die Medienwelten wandeln sich immer schneller. Daraus entstehen drängende Erkenntnisprobleme und Fragestellungen in Gesellschaft, Schule, Kultur usw. Um zu antworten bedarf es neuer Forschungsordnungen: ein epistemologischer Wandel gewinnt langsam Gestalt vor einem neuen Grund. In diesem Vortrag soll die Schnittstelle zwischen Medium und Mentalität als einer der zentralen medienanthropologischen Forschungsorte gezeigt werden. Sie ist als eine Nahtstelle zu deuten, an der die Menschwerdung in einem offenen Prozess geschieht. Ihre eigentümliche Anatomie aber ist bisher verhüllt, wenig verstanden und kaum beforscht.
Claus-Peter Leonhardt ist Unternehmensberater. Seit 1995 gibt er eine Buchreihe zur Medienanthropologie heraus.

Moderation aller Vorträge: Andreas Haderlein

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